– Denkanstöße zum Thema und Anregungen für den Übungsdienst von Dr. Erwin Mark –
Gefahrguteinsätze sind für viele Feuerwehren außerhalb ihrer Komfortzone. Auch für viele Hauptamtliche ist der Umgang mit Gefahrstoffen ungewohnt. Naturwissenschaftler, Ingenieure oder anders beruflich in diesem Bereich ausgebildete Feuerwehrkräfte kompensieren dies im Einsatz, sei es im Hauptamt, oder oft als Fachberater in Zusammenarbeit mit den Freiwilligen.
Was also tun wenn Gefahrgut austritt oder zu bergen ist? Für Einheiten ohne Gefahrgut-Ausstattung ergeben sich bereits im Rahmen der GAMS-Regel (Gefahr erkennen, Absicherungsmaßnahmen einleiten, Menschenrettung durchführen, Spezialkräfte alarmieren) vielfältige Möglichkeiten, wie das Feuerwehr-Magazin unlängst berichtete [LINK]. Die Spezialkräfte können dann das Gefahrgut aufnehmen oder umfüllen um es sicher abzutransportieren. Hierfür ist bei entsprechenden Mengen dann z.B. TUIS und/ oder eine Fachfirma hinzuzuziehen.
Soll die Feuerwehr versuchen, das Gefahrenpotential durch entsprechende chemische Reaktionen (z.B. Verdünnen oder Neutralisieren) zu minimieren? Aus meiner Sicht ein ein klares NEIN. Durch den Schadenseintritt ist bereits eine gegebene Menge Gefahrgut vorhanden. Bei brennbaren Stoffen gibt es eh kaum Möglichkeiten, außer sie aufzunehmen oder umzufüllen. Bei Säuren oder Laugen käme eine Verdünnung bzw. Neutralisation in Frage, die aber in meinen Augen das Ausmaß des Einsatzen über Gebühr vergrößert. Die Menge an Gefahrgut (wenn auch ggf. mit geringerem Gefahrenpotential) wird größer. Gase können in Folge einer Reaktion freigesetzt werden, und die meisten Verdünnungs- und Neutralisationsreaktionen setzen entsprechend Wärme frei. Bei größeren Mengen halte ich diese Gas- und/ oder Wärmefreisetzung für ein hohes Risiko.
Verdeutlichen lassen sich diese Fakten in einfachen Experimenten im Feuerwehr-Übungsdienst. Die benötigten Chemikalien können z.B. über den Lehrmittelbedarf bezogen werden. Die Versuche selbst lassen sich so gestalten, dass sie ohne Abzug ohne Gefährdung von geübten Fachleuten vorgeführt werden können.
0,1-molare Salzsäure hat einen pH-Wert von 1. Um auf einen pH-Wert von 2 zu kommen, muss sie auf 0,01-mol/l verdünnt werden, was einer Verdünnung von 1:10 entspricht. Das Gesamtvolumen des Gefahrstoffs hat sich hierbei bereits verzehnfacht! Konzentrierte Salzsäure (32%-ig, ca 10 molar) muss um den Faktor 1:1000 verdünnt werden, um auf einen pH-Wert von 2 zu kommen. Beim Verdünnen von konzentrierter Säure ist die Wärmeentwicklung bereits im Maßstab eines kleinen Trinkglases deutlich festzustellen. Aufgrund der immensen Volumenvergrößerung und der unkontrollierten Wärmefreisetzung rate ich von solchen Maßnahmen ab. Das großzügige Verdünnen und Wegspülen kleinerer Mengen sei hiervon ausgenommen.
Anstelle zu Verdünnen, käme alternativ eine Neutralisation in Frage, um das Gefahrgut umzusetzen, und (meist) ein Salz, gelöst in Wasser, zu erhalten. Für solche Fälle muß die Identität des Gefahrstoffs eindeutig feststehen. Bei solchen Reaktionen kann ggf. Gas freigesetzt werden, selbst wenn es „nur“ Wasserdampf ist, wird hier ein heßes Gas freigesetzt, das Einsatzkräfte gefährden kann. Die Neutralisationswärme kann auch hier zu einer Gefährdung führen.
Beispielhaft für eine Gasfreistzung lässt sich im Übungsdienst Backpulver mit Essig umsetzen. Backpulver wird in einer leeren Getränkeflasche vorgelegt, Essig hinzugegeben und ein Luftballon über den Flaschenhals gestülpt. Schon bei einer halb-fingerdicken Bodendecke von Backpulver wird sich der Luftballon entsprechend aufblasen.
Die Reduktion oder gar Neutralisation des Gefahrenpotentials des Gefahrguts geht also mit nicht immer genau bestimmbaren Risiken durch die entsprechenden Reaktionen einher, wie etwa eine möglicherweise unkontrollirte Wärmefreisetzung oder Gasentwicklung. Die Alternative ist aus meiner Sicht das Abwarten, bis entsprechende Transportmittel oder Medien zur Einsatzstelle kommen, in denen das Gefahrgut aufgenommen, umgefüllt und abtransportiert werden kann. Ein möglicher Zeitgewinn ist meiner Meinung nach unverhältnismäßig im Vergleich zur Vergrößerung des Einsatzumfangs.
Es mag begründete Ausnahmefälle geben, in denen das Gefahrgut nicht abtransportiert werden kann, ohne dass es vorher chemisch umgesetzt wurde. Diese Fälle sollten aber wirklich die Ausnahme bleiben, und nur in Zusammenarbeit mit Experten wie etwa dem Hersteller.